„Glück gibt es überall, bestimmt auch hier – es liegt an dir“ (Farin Urlaub – Porzellan)
Hallo meine lieben Freunde,
heute ist der 1. Dezember und das bedeutet, dass ich schon einen Monat hier in Vietnam bin (ja ich weiß, es sind im Grunde nur 25 Tage, aber wir wollen ja nicht kleinlich sein). Ich habe so viel hier erlebt, dass ich locker 20 Blogs damit füllen könnte. Jeder Tag ist hier wie ein Abenteuer, das nie vorhersehbar ist.
Auch wenn die Zeit überwiegend sehr positiv war und ich unbedingt hier weiter machen möchte gab es auch Tage an denen man nicht so viel gelacht hat. An diesen Tagen habe ich mich nicht unbedingt zurück nach Deutschland gewünscht, sondern eher Deutschland – in Form von Freunden und Familie – hier her. Es ist eben nicht alles einfach, aber das ist es ja bekanntermaßen nie.
Gestern haben wir drei unterschiedliche Personen besucht, die dennoch eine Sache gemeinsam haben, sie sind alle sehr stark vom Agent Orange gezeichnet und die zurückbleibende Krankheit bestimmt ihr Leben. Zunächst waren wir zu 6 (Jürgen, Ha, die 3 Österreicherinnen und ich) bei einem Geschwisterpaar. Die beiden sind 19 und 20 Jahre alt, sehen aber mindestens 10 Jahre älter aus. Grund dafür ist, dass beide an, eigentlich unerträglichen, Schmerzen leiden. Gehen ist nicht mehr möglich, die beiden kriechen am Boden vorwärts – so gut es eben geht. Ein Rollstuhl oder Rollbrett hilft auch nicht weiter da, (aus Erfahrung) ihnen die Finger brechen, wenn sie versuchen sich damit fortzubewegen. Problem ist auch, dass Veränderungen, wie z.B. Wetterumschwünge die Schmerzen noch verstärken. Dann können die Geschwister nicht mal mehr aufstehen und leiden noch mehr. Der Vater ist vor einigen Jahren schon an den Folgen von Agent Orange gestorben, jetzt kümmert sich noch die Mutter um die beiden. Das ist ein 24 Stunden Job. Jemand muss ja die beiden, ins Bett tragen, sie waschen, sie anziehen, ihnen beim Essen helfen und auch einfach für sie da sein, wenn die Schmerzen wieder zu stark werden. Jetzt fragt ihr euch sicher wieso hat der Vater überhaupt Kinder, wenn er selbst vom Agent Orange betroffen war? Erst einmal sind die Folgen von Agent Orange sehr spät zu erkennen. Der Vater hatte anfangs keine Beschwerden und auch den Geschwistern ging es bis zum 15 bzw. 16 Lebensjahr sehr gut. Sie besuchten die Schule, hatten viele Freunde und lebten ein normales Leben. Erst dann begann der nun alltägliche Kampf. Aber wieso kümmert sich die Mutter so aufopfernd um ihre Kinder und „erlöst“ sie nicht? Erst ein Mal ist aktive Sterbehilfe in Vietnam (genauso wie in Deutschland) verboten. Das heißt jetzt aber nicht, dass sich irgendjemand wundern würde, wenn die beiden eines Tages tot sind. Das wird früher oder später geschehen und höchstwahrscheinlich eher früher als später. Außerdem bekommen die beiden drei Mal am Tag eine (nicht unbedingt niedrige) Dosis Morphin. Hier in Vietnam gibt es keine Verschreibungspflicht, also kann jeder das an der Apotheke kaufen. Folglich könnte die Mutter eines Tages einfach die tödliche Dosis verabreichen und das Leiden ihrer Kinder hätte ein Ende. Sie tut er aber nicht, da die beiden – und das fand ich persönlich am erstaunlichsten – leben wollen. Die Tochter möchte weiter an ihren Näharbeiten sitzen, obwohl sie vor Schmerzen nur sehr langsam arbeiten kann und nur schrittweise vorwärts kommt. Der Sohn möchte weiter im Internet surfen, obwohl er nur in der Hocke gehen kann und das Haus nicht verlassen kann. Beide wollen die letzte Zeit die ihnen noch bleibt nutzen, so gut es geht. Besonders über Besuch freuen sie sich dann natürlich sehr. Uns wurde sofort Tee angeboten und zum Abschied auch noch Früchte geschenkt. Meistens kündigt Jürgen einen Besuch gar nicht mehr an und fragt nur einige Tage vorher wie es den beiden so geht, da man ansonsten noch mehr beschenkt wird und das obwohl, die Kosten für das Morphin nicht niedrig sind und die beiden und die Mutter ja auch nicht (abgesehen von den wenigen Näharbeiten) arbeiten können.
Wenn man dann dort das Haus verlässt ist man irgendwie stiller und nachdenklicher zuvor. Es ist nicht nur so, dass man Mitleid hat, sondern auch die praktisch aufgezwungene Tatenlosigkeit einen für eine Weile nicht mehr lachen lässt. Doch das war ja nicht der einzige Besuch an dem Tag.
Kurz darauf sind wir noch den Künstler besuchen gefahren. Ich nenne ihn den Künstler, da er unglaublich Werke zu Papier bringt. Es ist ja nicht nur so, dass seine Bilder unglaublich realistisch aussehen, sehr detailgetreu und auch sehr lebendig sind, durch seine Krankheit ist er so körperlich eingeschränkt, dass es ein Wunder ist, dass er überhaupt Malen kann. Der Künstler kann noch aufrecht, mithilfe zweier Krücken, gehen und stehen. Das Malen jedoch geht nur Strich für Strich und dauert folglich sehr lange und ist für ihn sehr anstrengend. Zudem ist das was er malt meistens (außer er malt nach Auftrag eine Vorlage ab) seiner Fantasie entsprungen. Doch wie auch bei dem Geschwisterpaar zuvor, möchte er leben und vor allem möchte er malen. Er hat auch eine Art Wagen, mit dem er nur ein wenig herum fahren kann, aber das bedeutet schon viel. Dank diesem Wagen konnte er nach 15 Jahren seine pflegebedürftige (deshalb konnte sie ihn auch nicht besuchen) Großmutter besuchen. Das Wiedersehen war für beide sehr rührend. Er freute sich auch sehr über unseren Besuch und wir konnten auch gleich einige Werke von ihm bestaunen. Man staunt wirklich die ganze Zeit. Eben nicht nur wenn man die Werke sieht sondern auch eben, wie er sie malt. Auch er leidet an starken Schmerzen und bekommt Morphin, um doch den Tag zu überstehen.
Wenn man sein Haus verlässt geht es einem ähnlich wie bei den Geschwistern. Man lernt, das was man hat besser zu schätzen, wenn es auch so etwas simples, wie ein schmerzfreies Leben ist. Dazu kommt aber, dass die hellen Farben seiner auch fröhlichen und lebendigen Bilder einen erfüllt und man die als eine Art Lichtblick in seinem sonst eintönigen und tristen Leben sieht.
Also nicht jeder Tag in Vietnam ist ein Abenteuer, das man mit einem Lächeln erlebt. Diese Art von Erlebnis, wird einem aber immer im Gedächtnis bleiben und man sieht danach die Welt mit anderen Augen.