„Weil kein Mensch deine Sprache spricht,
Du sprichst sie selber nicht mehr.“ (FURT – Karten)
Hallo meine lieben Freunde,
ich habe wieder so viel erlebt, ich weiß gar nicht wo ich anfangen soll. Jürgen und Ha haben mich wieder zu den Kindern, Mr. Vy, dem Direktor und Mrs. Houng mitgenommen. Der Direktor und Mrs. Houng sind für die Planung und Organisation des Heims zuständig, sie sind beide sehr nett und hilfsbereit. Mr. Vy ist der verrückte Künstler im Heim, er bastelt, malt, singt, tanzt und töpfert mit den Kindern. Seine Energie und Lebensfreude ist unglaublich ansteckend und wenn er lacht, muss man einfach mit lachen. Als ich gerade ankam, spielte er auf seiner Gitarre und die Kinder sangen sehr laut und auch sehr leidenschaftlich ein vietnamesisches Kinderlied. Ich kam mir noch sehr unbeholfen vor uns setzte mich erst einmal an den Rand, aber das wurde natürlich nicht akzeptiert und ich wurde sofort ins Geschehen mit einbezogen. Mit anderen Worten, die Kinder liefen auf mich zu, umarmten mich, nahmen mich bei der Hand und zeigten mir ganz stolz, was sie gemalt hatten. Auf einem der Bilder waren viele bunte Striche zu sehen, da hat Mr. Vy nur gelacht und „It is abstract“ gesagt. Ein paar englische Sätze kann er auch sagen, aber eine gemeinsame Sprache ist nicht unbedingt nötig, meistens zeigt er mir was er meint. Das funktioniert auch sehr gut. Er drückte mir dann auch gleich das Mikrofon in die Hand und ich sollte singen. Die Kinder haben dazu geklatscht, getrommelt und getanzt und er hat dazu wieder Gitarre gespielt. Wer mich kennt weiß, dass ich nicht gut singen kann, aber Mr. Vy und die Kinder schienen sehr zufrieden. Ich habe die Kinder auch mit einer Australierin besucht (Jürgen hat mir ihre Nummer gegeben), die als Englischlehrerin hier in einer Art Abendschule tätig ist. Sie heißt Veronika und war genau wie ich von dem bunten Durcheinander überwältigt. Mit ihr zusammen und den Kindern haben wir „If you happy and you know it“ gesungen und auch „Head and shoulders…“. Bei dem letzteren Lied haben wir die Hände der Kinder genommen und sie dann, z.B. bei „Head“ auf den Kopf gelegt, damit sie wissen, wovon wir singen. Die Kinder mussten kichern und freuten sich sehr.
Ich finde es eigentlich schade, dass ich immer nur „die Kinder“ schreibe, aber es sind so viele (insegsamt 65 Stück) und ich kann mir leider vietnamesische Namen so schlecht merken :(. Man merkt aber sofort, dass sie sehr unterschiedlich sind und jeder seinen eigenen Charakter hat.
Ich war auch schon bei dem Englischunterricht dabei. Geleitet wird der von einem älteren (er ist 80 Jahre!) Herrn, der sich selbst Englisch beigebracht hat. Obwohl sein Unterricht sehr einfach ist (es gibt dort ja kein whiteboard oder ähnliches) sind die Schülerinnen begeistert dabei. Sie wollten ihr Englisch auch gleich ausprobieren und fragten mich nach meinem Namen, wo ich her käme und wie alt ich bin und wie lange ich bleiben werde. Nach dem Unterricht nahmen die Mädchen mich, wie als wäre es selbstverständlich, mit auf ihr Zimmer. Mir wurde gleich ein Platz und was zu trinken angeboten. Sie fragten mich noch einige Fragen und es wurde viel gelacht. Ich musste automatisch an meine Freundinnen in Deutschland denken. Wir sitzen auch oft zusammen und quatschen, lachen und lesen Zeitschrift (ja, ein Mädchen hat nebenher eine Zeitschrift in Blindenschrift gelesen).
Da wir auch die Nummern ausgetauscht haben, bekam ich gleich am nächsten Tag eine Nachricht von einer Bekannten der Mädchen. Sie kann auch sehr gut Englisch und ich verstehe sie sehr gut. Sie ist eine Studentin, die sich ehrenamtlich in verschiedenen Projekten (und eben auch in dem Heim) einbringt. Das finde ich echt super klasse! Ich muss sagen, die Leute, die in ihrer Freizeit anderen Menschen (oder auch Tieren) helfen, egal wie und egal in welchem Ausmaß, sind mir auf Anhieb sympathisch. Außerdem gehören sie zu den Menschen, die man nicht vergisst und die man immer als Vorbild und Freunde im Herzen behält.
Die Studentin heißt Nga (ich habe auch versucht ihren Namen richtig auszusprechen und bin kläglich gescheitert) und sie hat mich gleich eingeladen, am Sonntag mit ihr Suppe in einem Krankenhaus zu verteilen. Darauf freue ich mich jetzt schon sehr!
Erlebnis des Tages
Zunächst dachte ich auch, dass nur eins der Mädchen blind ist, sie wurde nämlich von den anderen geführt, während die anderen sehr selbstsicher liefen, niemals stolperten oder sich den Kopf anstießen. Im Gegenteil, sie führten mich ebenfalls. Wir liefen ein Mal um den Block, da wir noch auf andere warteten und dann ging es raus auf die Straße. Wir waren dann 6 Mädels (alle so 18/19 Jahre alt), die durch die Straßen spazierten. Wir liefen in 2 Reihen und hielten uns an den Händen. Wir überquerten auch einige Straßen und wenn ein Motorrad an uns vorbei fuhr, sind wir schnell ein Stück gerannt oder sind nach vorne gesprungen, wobei wir alle lachen mussten. Ich hatte aber nie Angst und ich habe mich nie unwohl gefühlt, denn ich hatte ja 2 Begleiterinnen, die mich an den Händen führten. Als wir dann wieder im Heim ankamen gingen wir wieder in ihr Zimmer und tauschten Handynummern und auch Facebookkontakte aus. Die Mädchen, die mich selbst nur eine Minute vorher über die Straße geführt haben, damit mir nichts passiert, hielten nun ihre Handys nur 1cm vor ihr Gesicht. Jetzt erst verstand ich, dass alle Mädchen gar nichts bis fast gar nichts sehen konnten und lies nochmal den Ausflug Revue passieren. Ich wurde also vorher von Blinden bzw. fast ganz Blinden durch die Straßen geführt, sie haben auf mich aufgepasst und mich in ihre Mitte genommen. Das ist echt ein Erlebnis, das ich so schnell nicht vergessen werde.